Inkongruenz – auch bei freundlicher Drohung mit Zwangsvollstreckung

Mit Urteil vom 22.05.2025 (Az.: IX ZR 80/24) hat der Bundesgerichtshof einen die Berufung des Insolvenzverwalters zurückweisenden Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichtes aufgehoben. Während das OLG in der freundlichen Zahlungsaufforderung eines Sozialversicherungsträgers kein Verhalten erblickte, welches die hierauf geleistete Zahlung inkongruent erscheinen lässt, führt der IX. Zivilsenat im Leitsatz seiner Entscheidung aus:

„Eine Zahlung des Schuldners an einen Sozialversicherungsträger in dem Zeitraum von drei Monaten vor Insolvenzantragstellung erfolgt nach seiner objektivierten Sicht unter dem Druck einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung und ist damit inkongruent, wenn der Gläubiger zuvor eine Frist zur Zahlung des fälligen Beitrags gesetzt und für den Fall nicht fristgemäßer Zahlung die ohne weiteres mögliche Zwangsvollstreckung angekündigt hat, auch wenn die Zahlungsaufforderung insgesamt in einem „freundlichen“ Tonfall abgefasst ist.“

Die Entscheidung und die Begründung überzeugt. Denn der Senat führt zutreffend aus:

„Hinter dieser Rechtsprechung steht, dass das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip durch das System der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln eingeschränkt wird, wenn für die Gesamtheit der Gläubiger nicht mehr die Aussicht besteht, aus dem Vermögen des Schuldners volle Deckung zu erhalten. Dann tritt die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter den Schutz der Gläubigergesamtheit zurück. Die Vorschrift des § 131 InsO verdrängt in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag den Prioritätsgrundsatz zugunsten der Gleichbehandlung der Gläubiger (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2006 – IX ZR 157/05, ZIP 2007, 136 Rn. 6). Für die Beurteilung der Anfechtbarkeit ist es jedoch nicht wesentlich, ob die Zwangsvollstreckung im formalrechtlichen Sinne schon begonnen hat; eine Befriedigung oder Sicherung ist auch inkongruent, wenn sie unter dem Druck unmittelbar bevorstehender Zwangsvollstreckung gewährt wurde (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2006, aaO Rn. 8 mwN).“

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