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Die Geschäftsleiterhaftung gemäß § 15b Abs. 4 InsO ist eine zentrale Vorschrift im deutschen Insolvenzrecht. Insbesondere für Geschäftsführer und Vorstände von juristischen Personen bestehen besondere Pflichten (§ 15a InsO). Im Falle von Pflichtverletzungen, die den Zeitraum nach Eintritt der Insolvenzreife betreffen, begründet die Norm eine strenge Haftung. Die Regelung hat seit ihrer Einführung im Jahr 2021 die vorherigen gesellschaftsrechtlichen Einzelvorschriften ersetzt und bietet eine einheitliche und zentrale Grundlage für die Haftung bei verspäteter Insolvenzantragstellung oder Zahlungen an Gesellschafter, die zur Zahlungsunfähigkeit führen mussten.
Nachfolgend finden Sie einen Überblick über die Haftungsvoraussetzungen des § 15b Abs. 4 InsO.
Voraussetzungen der Haftung
Insolvenzreife der Gesellschaft:
Von kaum praxisrelevanten Ausnahmen abgesehen, greift die Haftungsnorm nur bei Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife.
Die Gesellschaft ist insolvenzreif, wenn sie zahlungsunfähig oder überschuldet ist (§§ 17 und 19 InsO).
Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn die Gesellschaft nicht mehr in der Lage ist, ihre fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen.
Überschuldung ist gegeben, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt und keine positive Fortführungsprognose für einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten besteht. Wichtig: Eine Fortführungsprognose muss tatsächlich existieren (nicht nur „gedacht“ sein). Im Falle rechnerischer Überschuldung ist eine solche Prognose aufzustellen, zu verschriftlichen und fortlaufend zu erneuern. Der Finanzplan ist das Herzstück der Fortführungsprognose. Dieser gibt Aufschluss darüber, dass die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft gewährleistet ist. Daneben werden Ausführungen zur weiteren Geschäftsentwicklung und ein erkennbarer Fortführungswille erwartet.
Pflichtwidrige Zahlungen:
Der Begriff der Zahlungen ist weit gefasst. Es werden neben reinen Geldtransfers auch andere vermögensrelevante Handlungen erfasst. Auch Kundeneinzahlungen auf ein debitorisch geführtes Konto gelten als Zahlungen im Sinne der Norm und sind dem Geschäftsleiter zuzurechnen.
Verbotene Zahlungen:
Nach Eintritt der Insolvenzreife dürfen keine Zahlungen mehr geleistet werden, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (§ 15b Abs. 1 InsO). Zahlungen, die dennoch vorgenommen werden, können pflichtwidrig sein und zur Haftung führen.
Besonderheiten, die insbesondere die Darlegungs- und Beweislastverteilung betreffen, gelten für die Zeit ab Beginn und nach Ende der Insolvenzantragsfrist (§ 15a InsO) zu Gunsten oder zu Lasten des Geschäftsleiters.
Umfang der Haftung
Erstattungspflicht:
Gemäß § 15b Abs. 4 InsO sind Geschäftsführer zur Erstattung aller pflichtwidrig geleisteten Zahlungen verpflichtet. Dies bedeutet, dass sie den Betrag, den sie verbotswidrig gezahlt haben, zurückerstatten müssen.
Begrenzung der Ersatzpflicht:
Wenn der Geschäftsführer nachweisen kann, dass der Gläubigerschaft ein geringerer Schaden entstanden ist, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens (§ 15b Abs. 4 Satz 2 InsO). Die Anforderungen an die Begrenzung der Ersatzpflicht sind umstritten. Teilweise wird vertreten, dass sich die Begrenzung nicht auf die Summe der Zahlungen, sondern die einzelne Zahlung bezieht. Denn nach wohl herrschender Meinung bildet jede Zahlung einen eigenen Streitgegenstand und verjährt selbstständig.
Rechtsprechung und Auslegung
Höchstrichterliche Rechtsprechung:
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Geschäftsführerhaftung ist von einer großen Kausuistik geprägt. Unter welchen Voraussetzungen Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters unvereinbar waren, bedarf daher genauer Prüfung.
Praktische Beispiele:
Lohnzahlungen sind in der Regel nicht privilegiert. In Abhängigkeit vom Einzelfall kann aber anderes gelten. Wurden die Zahlungen etwa aus einem debitorisch geführten Konto gezahlt, liegt idR keine verbotene Zahlung vor.
Hinweise
Die Geschäftsführerhaftung gemäß § 15b Abs. 4 InsO stellt eine erhebliche Herausforderung für Geschäftsführer in Krisenzeiten dar. Es ist entscheidend, die Insolvenzreife frühzeitig zu erkennen, einen Insolvenzantrag zu stellen oder bei ersten Krisenanzeichen eine Sanierungsberatung in Anspruch zu nehmen oder qualifizierte Beratung zu Haftungsrisiken einzuholen. Professionelle rechtliche Beratung kann dabei helfen, die komplexen Vorschriften richtig zu interpretieren und anzuwenden, um das Haftungsrisiko zu minimieren.