I. Passiva II
Es war lange umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt, ob im Rahmen der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit nur eine Gegenüberstellung der vorhandenen und innerhalb von drei Wochen zu beschaffenden liquiden Mittel mit den zum Stichtag fälligen und ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten zu erfolgen hat, oder ob darüber hinaus auch die im Drei-Wochen-Zeitraum fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind.
Der zweite Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat mit Urteil vom 19.12.2017 (Az.: II ZR 88/16) nun erstmals Position bezogen und die Berücksichtigung der sogenannten „Passiva II“ grundsätzlich bejaht. Die Literatur hat sich schon seit langem überwiegend für diese Einbeziehung ausgesprochen.
Gleichwohl überrascht die Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Denn die instanzgerichtliche Rechtsprechung hat die Einbeziehung der Passiva II unter Verweis auf die Rechtsprechung des neunten Zivilsenats zumeist abgelehnt.
II. Nachweis der Zahlungsunfähigkeit (Auswertung der GDPdU-Daten)
Der zweite Zivilsenat beschäftigt sich in der Entscheidung zudem mit der Frage der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast. Von besonderer Relevanz dürfte insoweit sein, dass die Zahlungsunfähigkeit nicht nur anhand einer (oft sehr mühsamen) Auswertung der vorgefundenen schriftlichen Geschäftsunterlagen erfolgen kann. Vielmehr kann der Insolvenzverwalter die vorgefundene elektronische Buchhaltung – insb. die sog. GDPdU-Daten – auswerten und mit dieser die Zahlungsunfähigkeit ermitteln und darlegen.
Auch weiterhin ist das in den meisten Fällen nicht ohne weitere Ermittlungen möglich. Die Fälligkeit von Verbindlichkeiten wird nur selten buchhalterisch erfasst. Die umfangreiche Verwendung der GDPdU-Daten im Prozess wird aber die Substantiierung von Haftungsansprüchen in Zukunft erheblich erleichtern. In gleicher Weise wachsen die Risiken eines Prozesses für Geschäftsführer und Vorstände.
Das Verständnis der elektronischen Buchhaltung und das Wissen, welche Informationen aus den elektronisch gespeicherten Daten gewonnen bzw. nicht gewonnen werden können ist für eine erfolgreiche Abwehr von Haftungsansprüchen entscheidend. Zudem ist die genaue Kenntnis der Haftungsrisiken hilfreich, wenn ein langwieriger Prozess vermieden und eine ggf. frühzeitige außergerichtliche Einigung beabsichtigt ist.
III. Konsequenzen
Die Frage, ob objektive Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO vorliegt, ist gemessen an den nunmehr aufgestellten Grundsätzen daher wie folgt zu beantworten:
Ergibt eine Gegenüberstellung der vorhandenen Zahlungsmittel zu den am selben Tag fälligen und ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten eine Liquiditätslücke die 10 % übersteigt (Deckungsgrad < 90 %) liegt zu diesem Stichtag objektive Zahlungsunfähigkeit vor, wenn auch unter Berücksichtigung der innerhalb von drei Wochen zu beschaffenden Zahlungsmittel und der im selben Zeitraum fällig werdenden (eingeforderten) Verbindlichkeiten eine Liquiditätslücke von mehr als 10 % verbleibt.
Das Urteil sollte insbesondere die in § 15a InsO genannten Personen – also insbesondere organschaftliche Vertreter (wie Geschäftsführer und Vorstand) – dazu veranlassen, eine ausführliche Prüfung auf das Vorliegen der objektiven Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) vorzunehmen; nicht erst dann, wenn sich das Unternehmen bereits in spürbaren Zahlungsschwierigkeiten befindet.
Wenn Sie Unterstützung oder Beratung bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit nach den nunmehr konkretisierten Grundsätzen benötigen, beraten wir Sie gerne.